Die wohl aus verschiedenen Richtungen kommende und daher unlösbare Beanspruchung des sogenannten MUSIKTHEATERS macht aus dieser Gattung fast immer das, was der Komponist oder der Musiktheaterhersteller intendiert: sein, für ihn durch ihn zurechtgestutztes Mittel zum Zweck.
In meinem Fall stellt sich der Textschreiber vor den Komponisten und fordert gegenüber diesem ein, dass kein singender Mensch auf der Bühne steht. Denn, so der Autor, der Gesang ist das Sprechen.Theater, also Schauspiel auf der Bühne ist Gesang ohne Noten. Nicht weniger differenziert in den Facetten des Klangs, der Intonation, der Agogik, also des Dehnens, Stauchens, Verschweigens von inhaltlichen Hoch und Tiefs. Der Autor in mir verlangt, dass die Szene theatralisch ist, ohne rhythmische und zeitvergewaltigende musikalische Ausdeutungen. Wenn schon Musik, dann dienende, also eher schlechte, nicht elaborierte und kompositorischem Denken geopferte Klangsprache.
KENNWORT: messias ist eine Theaterszene für zwei Schauspielerinnen, einen Bühnenarbeiter und Streichquartett. Alles ist Szene, künstlich organisiert, alles ist daher nicht das, was es vorgibt zu sein. Das Streichquartett ist keine Ensemblegattung, sondern vier Menschen, die Streichinstrumente spielen und sich in den Wüsten der Musikgeschichte verbrennen lassen. Alles, was sie ihren Instrumenten entlocken, ist „Anspielung“ und Nachhall. Ich habe ihnen den Wind und den Sand in die Noten geschrieben, das Ungreifbare und das Stockende: Material sirrender Obertöne und Material verbrauchter Geräuschinventarien.
Auch was die beiden Frauen auf der Bühne tun, ist Nachhall auf ein ohne Ende gebilligtes und fest statuiertes Missverständnis menschlicher Möglichkeiten oder Unmöglichkeiten. Sie sind unbegreiflich und verstockt. Der Bühnenarbeiter ist ein Instrument, das noch erfunden werden muss. Er ist der stümpernde Technokrat im mechanischen Zwischenraum von Himmel und Hölle. Für mich der heilige Teufel, ein Einflüsterer, ein maitre de souffle.
Und so kommt alles zusammen, was MUSIKTHEATER sein kann: ein Spiel divergierender Hinterhältigkeiten. Weit entfernt von OPER, in welcher Ausdruck und damit schamlose Berührung des Hörers vor allem durch die melodiösen Emphasen der Sänger*innen provoziert werden. Wie gesagt, weit entfernt davon.
KENNWORT: messias
Theaterszene für zwei Schauspielerinnen, einen Bühnenarbeiter und Streichquartett
Auftragswerk für das Taschenopernfestival Salzburg 2011
Musik, Text & Regie Hans-Peter Jahn
Maria Nicola Gründel
Engel Constanze Passin
Bühnenarbeiter Jürgen Palmer