Sirenen als männliche Projektionen der Femme fatale oder weibliche Sehnsucht der Verführung?
Thematische Grundlage und inhaltlicher Ausgangspunkt für die Musiktheaterwerke des 6. Taschenopernfestival sind die beiden ersten Seiten des 11. Kapitels aus „Ulysses“ von James Joyce. Dieser Abschnitt stellt eine Ouvertüre zu dem Kapitel dar, das Joyce selbst als „Sirenen-Episode“ bezeichnet – in Analogie zur Odyssee von Homer. In ihrem Zentrum stehen Ursprung und Wirkung der Musik und des Gesanges. Joyce’ sprachliches Spiel mit der Wahrnehmung wurde zum Impulsgeber für Musiktheater als Spiel mit der Wahrnehmung. Wann wird Gesang in der Szene unausweichlich und bezwingend, wie einst der Gesang der Sirenen?
„Ulysses“ von James Joyce , Kapitel 11 – Sirenen-Episode
Die Geschehnisse in der Ormond Bar
Dublin, 16. Juni 1904.
Kurz vor vier Uhr Nachmittag. Zwei Sirenen stehen hinter der Bar im Ormond Hotel. Bronze bei Gold. Miss Lydia Douce und Miss Mina Kennedy. Draußen sommerliche Wärme; Hitze wohl nach irischen Begriffen.
Leopold Bloom, Protagonist und seinen Weg in den Heimathafen suchender Odysseus im „Ulysses“ von James Joyce, strandet im Mythos.
Seit dem Morgen ist er im schwarzen Anzug unterwegs (am Vormittag schon musste er ein Begräbnis besuchen), ihm ist heiß deshalb.
Noch sind die Sirenen alleine, trinken Tee, erzählen sich Geschichten, die in Kichern und Prusten münden. Hinter dem Bar-Raum befindet sich ein Speisezimmer, daneben der Saloon, in dem manchmal Konzerte stattfinden und deshalb auch ein Flügel steht. Darauf eine Stimmgabel, die ein blinder junger Klavierstimmer am Morgen vergessen hat.
Schauplatz für ein Kammerspiel, wo die Akteure der Sirenen-Episode in Kürze eintreffen werden, alleine, paarweise. Weiterlesen